ADHS / ADS
Das Zappelphilipp-Syndrom – medizinisch als Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder ADS, d.h eine Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität– ist eine ernst zu nehmende folgenschwere Störung. Bereits 1845 beschrieb der Frankfurter Nervenarzt Dr. Heinrich Hoffmann Anzeichen einer ADHS in seinem weltbekannten Kinderbuch „Struwwelpeter“. Es handelt sich entsprechend keineswegs um eine „Modekrankheit“. Man vermutet heute, dass Hauptursachen für ADHS in Veränderungen der Funktionsweise des Gehirns zu suchen sind. Dabei handelt es sich um sehr komplexe Veränderungen, die im Zusammenspiel mit psychosozialen Faktoren zu hyperkinetischem Verhalten führen. ADHS-Symptome lassen sich in drei Kernbereiche einteilen:
- Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwächen
- Impulsive Verhaltensweisen
- Ausgeprägte Unruhe
Probleme in einem/oder allen Bereichen können auch im normalen Entwicklungsverlauf auftreten. Kinder und Jugendliche mit ADHS unterscheiden sich von „gesunden“ Gleichaltrigen hinsichtlich des Ausmaßes und der Stärke der Probleme. Aufgrund der ADHS-Symptome kommt es bei vielen Betroffenen zu deutlichen Schwierigkeiten in wichtigen Lebensbereichen wie Familie und Schule und im Umgang mit Gleichaltrigen. Häufig ziehen die Probleme Konflikte in zwischenmenschlichen Beziehungen nach sich.
Die Ursachen und Entstehungsmechanismen der ADHS sind noch nicht vollständig geklärt. Forscher gehen heute davon aus, dass eine Vielzahl einzelner genetischer Einflussfaktoren mit anderen Einflussfaktoren, z.B. mit Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen oder auch Umweltfaktoren zusammenwirken und so Entwicklungsabweichungen neuronaler Regelkreise zustande kommen, die für die Entwicklung der Symptomatik verantwortlich sind.
Aufgrund der Stoffwechsel- und Funktionsstörungen im Gehirn sind die Betroffenen nur eingeschränkt in der Lage, ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache zu konzentrieren, sie leiden an einer gestörten Selbstregulation. Gleichzeitig ist der Zugriff auf vorhandene Fähigkeiten und Informationen behindert, so dass eine vorausschauende Handlungsplanung erschwert wird. Viele Studien weisen darauf hin, dass erbliche Faktoren eine bedeutsame Rolle für die Entwicklung von ADHS darstellen.
Oft entwickeln ADHS-Patienten neben den Kernsymptomen weitere Störungen
- Störungen des Sozialverhaltens (z.B. Aggressivität);
- Entwicklungsstörungen (z.B. im motorischen und sprachlichen Bereich sowie in der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit),schulische Leistungsdefizite und Hinweise auf Teilleistungsschwächen (Lese-Rechtschreib- und/oder Rechenschwäche);
- Tic-Störungen (einschl. Tourette-Störung);
- Depressive Störungen oder negatives Selbstbild;
- Angststörungen (besonders Leistungsängste);
- Beeinträchtigte Beziehungen zu Familienmitgliedern, zu Erziehern/Lehrern und zu Gleichaltrigen.
Neben einem gestörten Sozialverhalten kommen bei Schulkindern mit einer beeinträchtigten Aufmerksamkeit Lernschwierigkeiten am häufigsten vor. Die Leistungen in der Schule liegen meist weit unter den eigentlichen Fähigkeiten. Es fehlt an Konzentration und Geduld, das Kurzzeitgedächtnis arbeitet sehr schwach. Eine Lese-Rechtschreib- und/oder eine Rechenschwäche besteht oft neben guten Leistungen in anderen Bereichen. Viele Kinder und Jugendliche mit ADHS entwickeln mit der Zeit emotionale Probleme, wie Ängste und Unsicherheiten. Sie trauen sich weniger zu als andere Kinder. Im Speziellen zeigen sich diese Probleme im schulischen Kontext.
Diagnostik bei Verdacht auf ADHS
Wichtige Bausteine im Rahmen der Diagnosestellung sind
- Umfassende Anamnese der Eltern/der BetroffenenEvtl. körperliche Untersuchung und neurologische Untersuchungen der Fein- und Grobmotorik, der Bewegungskoordination sowie der Sinnesorgane (u.a. Testung der Sehstärke, des Hörvermögens)
- testpsychologische Untersuchungen (Begabungsuntersuchungen, Intelligenz- und Aufmerksamkeitstests, Überprüfung schulischer Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen), Untersuchung der emotionalen und sozialen Entwicklung)
- Verhaltensbeobachtungen und -bewertung (Verhaltensbeschreibungen aus Alltagssituationen von unterschiedlichen Personen wie Eltern, Verwandten, Lehrern, Erziehern u.ä.
- Körperliche Untersuchungen wie Messung der Hirnströme (EEG) und der Herztätigkeit (EKG) sowie Blutuntersuchungen (insbesondere bei geplanter Medikamentengabe)
Die medikamentöse Behandlung von ADHS sollte nur nach der Feststellung einer manifesten Diagnose erfolgen und nur dann, wenn andere wirksame Fördermaßnahmen wie Reizreduzierung der Umwelt (Familie und Kita/ Schule), Sozialtraining und Lernpsychologische Unterstützung keine Wirkung gezeigt haben. In Deutschland ist in der Vergangenheit ein rasanter Anstieg der Verschreibungen von z.B.Ritalin zu beobachten. Zwischen 2000 und 2010 verfünffachte sich die Zahl der verordneten Tagesdosen laut der Gesundheitsberichterstattung des Bundes von 11 auf mehr als 55 Millionen Tagesdosen.
Es sollte stets geprüft werden, ob die Verhaltensauffälligkeiten nicht auch eine angemessene Reaktion auf unangemessene Umstände darstellen, da die Nebenwirkungen der auf das Gehirn wirkenden Medikamente erheblich sein können und die Erkenntnisse über Langzeitfolgen noch gering sind.